Pestizide sind chemische Stoffe, die in der Landwirtschaft zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt werden. Sie sind giftig insbesondere für Pflanzen, Insekten und Pilze. Ihr Einsatz steht in der Kritik, weil er häufig auch Arten schädigt, die gar nicht bekämpft werden sollen, weil er Gewässer verunreinigt und auch für den Menschen eine Gesundheitsgefahr darstellen kann. Zu diesem Thema ist jetzt der Pestizidatlas 2022 erschienen.
- Was ist der Pestizidatlas?
- Welche Probleme hebt der Pestizidatlas hervor?
- Welche Folgen hat der Pestizideinsatz für die Menschen?
- Welche Kritik am Pestizideinsatz in Deutschland gibt es?
- Wie problematisch sind Pestizidrückstände in Lebensmitteln?
- Welche Forderungen an die Politik formuliert der Pestizidatlas?
Was ist der Pestizidatlas?
In Zusammenarbeit mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), PAN Germany und der französischen Zeitung „Le Monde Diplomatique“ hat die den Grünen nahestehende Heinrich-Böll-Stiftung den sogenannten Pestizidatlas veröffentlicht, eine Zusammenstellung von Daten und Fakten zum weltweiten Pestizideinsatz. Er zeigt die aktuellen Entwicklungen und Folgen des Einsatzes von Pestiziden für Mensch und Tier auf und blickt auch auf die wirtschaftlichen Interessen. Denn klar ist: Der weltweite Pestizidmarkt wächst weiter – und das vor allem im globalen Süden, wo der Einsatz von Pestiziden weniger Regularien unterliegt. Zudem blickt die Untersuchung auf Zulassungs- und Genehmigungsmechanismen sowie alternative Möglichkeiten, um den Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft zu vermeiden.
Welche Probleme hebt der Pestizidatlas hervor?
Schon in der Einleitung wird deutlich, wo das Hauptproblem liegt: Weltweit werden demnach so viele Pestizide ausgebracht wie nie zuvor.
In der Landwirtschaft sind vor allem Herbizide und Insektizide ein Problem. Sie sollen vor Pflanzenkrankheiten und Schädlingen schützen, schädigen aber auch Insekten, die eigentlich nützlich sind oder gelangen über Landwirtschaft in die Nahrungskette. Die eingesetzte Menge von Pestiziden ist laut Pestizidatlas zwischen 1990 und 2017 um etwa 80 Prozent gestiegen. Sie liegt bei etwa vier Millionen Tonnen pro Jahr.
Welche Pflanzenschutzmittel kommen zum Einsatz?
Herbizide (gegen unerwünschte Pflanzen): 50 Prozent
Insektizide (gegen Schädlinge): 30 Prozent
Fungizide (gegen Pilze): 20 Prozent
Herbizide (gegen unerwünschte Pflanzen): 50 Prozent
Insektizide (gegen Schädlinge): 30 Prozent
Fungizide (gegen Pilze): 20 Prozent
In Deutschland ist die Nutzung zwar rückläufig, in vielen anderen Staaten hingegen nicht, wie eine Weltkarte mit der Überschrift „Kein weniger in Sicht“ im Pestizidatlas veranschaulicht. Da die Klimaerwärmung die Ausbreitungen von Schädlingen begünstigt, könnte der Einsatz von Pestiziden noch zunehmen, befürchten die Autoren der Studie.
Problematisch ist in diesem Zusammenhang auch die Marktmacht der Konzerne. So beschreibt der Pestizidatlas, wie sich nur wenige Konzerne – darunter Bayer, die Sygenta Group, Corteva und BASF – den Weltmarkt der Pestizide teilen. Deutschland gehört dabei zu den wichtigsten Exporteuren.
Hochgiftige Pestizide werden vor allem außerhalb der EU, in Asien, Afrika und Lateinamerika vermarktet. Dort ist der Einsatz in vielen Ländern immer noch erlaubt und der Markt wächst kontinuierlich. Der Pestizidatlas setzt sich dementsprechend kritisch mit Zulassungsverfahren und Genehmigungsprozessen auseinander und zeigt auf, wie dabei indirekte Folgen auf Nahrungsketten und Biodiversität kaum beachtet werden.
Welche Folgen hat der Pestizideinsatz für die Menschen?
385 Millionen Menschen erkranken laut Pestizidatlas jährlich weltweit an Vergiftungen, weil sie bei der Arbeit, durch Nahrung oder das Trinkwasser mit Pestiziden in Kontakt kommen – Tendenz steigend. Besonders betroffen sind wegen der weniger strengen Regularien Menschen im globalen Süden. Sie verfügen zudem über weniger Schutzkleidung und werden oftmals nur schlecht aufgeklärt. Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Welternährungsorganistation (FAO) zum besseren Schutz vor Pestiziden und dem Einsatz von ökologischen Alternativen wurden bisher kaum umgesetzt.
Der Industrieverband Agrar (IVA), der zum Verband der Chemischen Industrie gehört, bezweifelt allerdings die Angabe von 385 Millionen erkrankten Menschen jährlich. Er kritisiert, Basis dafür sei eine Schätzung der "PAN-Aktivisten", die nicht wissenschaftlich geprüft sei.
Im Zusammenhang mit Erkrankungen durch Pestizideinsatz steht seit einigen Jahren insbesondere das Herbizid Glyphosat im Fokus. Zahlreiche Betroffene haben mittlerweile den Hersteller Bayer verklagt, weil sie nach dem Kontakt mit dem Herbizid an Krebs erkrankt sind. Die Internationale Agentur für Krebsforschung hatte Glyphosat 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft. Die aktuelle Zulassung in der EU läuft im Dezember 2022 aus. Sollte sie nicht verlängert werden, dürfte Glyphosat nach einer Übergangsphase ab 2024 nicht mehr verwendet werden.
Der Industrieverband Agrar (IVA) wirbt für die erneute Glyphosat-Zulassung. Hauptgeschäftsführer Frank Gemmer erklärte im Deutschlandfunk, Glyphosat lasse sich nicht so leicht ersetzen. Die einzige Alternative sei der Pflug. Den würden Landwirte auch tatsächlich verstärkt einsetzen, weswegen man über Winter immer mehr braune Äcker ohne Bewuchs sehe. Nahrung für Tiere und Insekten gebe es dadurch aber auch nicht. "Wir wollen mit Glyphosat erreichen, dass wir auch über Winter eine Begrünung haben, dann im Frühjahr kurz vor der nächsten Aussaat diesen Bewuchs abtöten und dann gleich wieder eine neue Kultur einsäen können. Damit haben wir Erosionsschutz und eine sehr gute Durchwurzelung der Böden", so Gemmer. Die Unternehmen im IVA arbeiteten aber daran, "weniger risikobehaftete" Produkte auf den Markt zu bringen. Zudem sei man bemüht, Pestizide durch neue Technologien wie Digitalisierung zielgenauer auszubringen.
Warum der Industrieverband Agrar für die erneute Glyphosat-Zulassung wirbt (13.1.2022)
Welche Kritik am Pestizideinsatz in Deutschland gibt es?
Auch in Deutschland hat es beim Absatz von Pestiziden laut Pestizidatlas in den letzten 25 Jahren kaum Veränderungen gegeben. Demnach werden pro Jahr zwischen 27.000 und 35.000 Tonnen Pestizidwirkstoffe verkauft. Es werde jedoch nicht transparent gemacht, wieviel Mittel Landwirte auf ihren Flächen ausbrächten, kritisiert der Pestizidatlas.
Pestizidatlas 2022: "Daten und Fakten über Gifte in der Landwirtschaft" (13.1.2022)
Zum Einsatz kommen vor allem Herbizide gegen Beikräuter und Fungizide gegen schädliche Pilze, aber auch Insektizide und Wachstumsregulatoren gehören dazu. Der Apfelanbau in Deutschland ist vom Pestizideinsatz besonders betroffen – gefolgt von Wein und Hopfen. Was die Behörden zum Beispiel rund um die besonders häufig behandelten Apfelbäume in ihren Indizes festhielten, erlaube aber keine Aussagen über Umwelt- und Gesundheitsauswirkungen, heißt es. Der Atlas kritisiert darüber hinaus, dass es in Deutschland immer noch keine effektive Politik gebe, die zu einer Reduktion des Pestizideinsatzes führe.
Katrin Wenz vom BUND bemängelt, dass auch der Nationale Aktionsplan Pestizide nicht dazu geführt habe, Pestizide nennenswert zu reduzieren. Die ehemalige Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) habe etwa das Glyphosatverbot lange verschleppt. „Das Insektenschutzgesetz ist sehr schwach, wir hatten einige konkrete Verbote von Neonikotinoiden, aber auch hier gab es dann in allen möglichen Bundesländern Notfallzulassungen. Auch die neue Bundesregierung hat kein konkretes Minderungsziel.“
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Dieses Problem macht sich laut Pestizidatlas auch bei der Biodiversität in Deutschland bemerkbar – die biologische Vielfalt geht unter anderem durch den Einsatz von Pestiziden verloren. Die Roten Listen des Bundesamtes für Naturschutz bestätigen den Rückgang von Bienen, Schmetterlingen oder Zikaden.
Wie problematisch sind Pestizidrückstände in Lebensmitteln?
Zwar sind in Deutschland und der EU weniger Pestizid-Rückstände erlaubt als in vielen anderen Ländern, trotzdem landen belastete Lebensmittel in den Supermärkten. 2019 waren laut Pestizidatlas 98 Prozent der untersuchten Weintrauben und Erdbeeren belastet. Die zuständigen Behörden weisen allerdings darauf hin, dass Rückstände von Pestiziden zulässig sind, sofern sie die geltenden Rückstandshöchstgehalte nicht überschreiten und demnach gesundheitlich unbedenklich sind.
Bei importierten Produkten habe man zudem Rückstände von Pestiziden nachweisen können, die in Europa nicht mehr zugelassen sind oder nie zugelassen waren, kritisiert Katrin Wenz vom BUND.
Jens Schubert vom Bundesinstitut für Risikobewertung kritisierte im Dlf, dass die Berichterstattung zum Einsatz von Pestiziden teilweise unausgewogen sei. Vor der Genehmigung in der EU und der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln auf nationaler Ebene müssten umfangreiche Prüfungen durchgeführt werden. Nur wenn in der Bewertung eine sichere Anwendung identifiziert werden könne, würden die Wirkstoffe auch genehmigt. Bei sachgerechter Anwendung der Pflanzenschutzmittel gebe es keine gesundheitlichen Risiken.
Jens Schubert (Bundesinstitut für Risikobewertung), über den Einsatz von Pestiziden in Deutschland (16.12.2022)
Der Pestizidatlas nimmt auch weitere unerwünschte Nebenwirkungen in den Blick. Dazu gehören die Verbreitung der Stoffe, ihrer Abbauprodukte und unerforschter Substanzcocktails in der Umwelt, in Lebens- oder in Futtermitteln. Auch weniger bekannte Informationen werden benannt, etwa dass es mittlerweile einen Markt für gefälschte Pestizide gibt oder im laufenden EU-Verfahren zur Wiederzulassung von Glyphosat keine neuen Studien zur strittigen Fragen der Krebsrisiken vorgelegt wurden. Unpräzise formulieren die Autoren allerdings in Bezug auf den ökologischen Landbau. Ihre Behauptung, dieser komme „ohne chemische Pestizide“ aus, stimmt so nicht.
Alternativen zu Glyphosat und Co: EU-Projekt für integrierten Pflanzenschutz
Welche Forderungen an die Politik stehen im Pestizidatlas?
Die Regulierung der Zulassung und Anwendung von Pflanzenschutzmitteln ist Aufgabe der Politik. Dass die EU-Kommission mit der "Farm-to-Fork"-Strategie bis 2030 den Einsatz gefährlicher Pestizide halbieren will, notiert der Pestizidatlas dazu ebenso wie das weitreichendere Ziel einer Europäischen Bürgerinitiative, bis 2035 komplett aus der Anwendung synthetischer chemischer Pflanzenschutzmittel auszusteigen. Eine Umfrage unter jungen Deutschen für den Atlas ergab, dass zwei Drittel den Einsatz von Pestiziden für gefährlich halten. Allerdings plädierten nur 20 Prozent von ihnen für ein komplettes Verbot synthetischer chemischer Mittel.
Es wird deutlich, dass die Lösungen der Politik oft ineffizient sind. Das zeigt ein Beispiel zu den sogenannten Substitutionskandidaten. Dabei geht es um Stoffe, die in der EU bereits als problematisch erkannt sind und durch ungefährlichere Alternativen ausgetauscht werden sollen. Alle EU-Ländern nutzen diese jedoch auch weiter, besonders sorglos ist dabei laut Pestizidatlas Ungarn.
Quellen: Daniela Siebert (Deutschlandfunk), Pestizidatlas, IVA e.V., nin, kho